1. Der Urentwurf Friedrich Wilhelms IV.
Der Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861) skizzierte, ähnlich dem Forum Romanum und den Exedren des Trajanforums, eine Gruppe von Tempelbauten. Später entwickelte er diese Idee weiter zu einer sich steigernden Pyramide klassischer Tempelfronten. Mit den Worten »Hier haben Sie mein Geschmier, jetzt bringen Sie Vernunft hinein« beauftragte er den Baumeister Friedrich August Stüler (1800-1865) damit, seine dilettantischen Skizzen umzusetzen.
Am 11. September 1840 ließ sich der König eine Eingabe zur Museumssituation seiner Hauptstadt machen. Das für die Verwirklichung seiner Idee vorgesehene Grundstück wurde durch Schinkels quer gelagerten Museumsbau vom Lustgarten abgeriegelt. Es lief zwischen Spreearm und Spreekanal nördlich spitz zu. Seitlich wurde es von den Packhöfen eingeengt.
Es folgten, neben einem Memorandum, in welchem gefordert wurde »die ganze[n] Spreeinsel hinter dem königlichen Museum zu einer stillen reich begabten Freistätte für Kunst und Wissenschaft umzuschaffen«[1], zwei Skizzen des Terrains: eine des damaligen Zustandes und eine der möglichen Anlage eines Museums.
Ursprünglich wollte der Herrscher einen »Tempelbau für die Wissenschaften«. Dieser sollte in seiner Cella die Aula und Hörsäle der Universität beherbergen. Nachdem der Bau beschlossen worden war, lagen bereits am 6. Juni 1841 die ersten »Pläne der neuen Universität« vor. Es war eine städtebauliche Konzeption des gesamten Geländes der Insel, abgebildet auf drei aquarellierten Blättern. Sie entsprach einer Folge von drei unterschiedlich geformten und ausgerichteten Höfen:
Der erste Hof war eng umbaut, beinahe quadratisch und allseitig von Säulengängen umschlossen. Diese bildeten auf einer Seite die Vorhalle eines dreigeschossigen Gebäudes. An zwei anderen Seiten waren sie zweigeschossigen Bautrakten von geringer Tiefe vorgelagert. Jene sollten Ateliers und Ausstellungsräume beherbergen. Mittig wurde der Hof durch einen korinthischen Peripteros geteilt. Da dieser auf einem zweigeschossigen Piedestal ruhte, beherrschte er die ganze Baugruppe. In ihm befanden sich ein Festsaal, die Aula und in den unteren Stockwerken Hörsäle sowie Nebenräume. Der festliche Zugang erfolgte über eine zweiarmige Freitreppe. Sie führte direkt hinter der vorderen Säulenhalle des Hofes hinauf, um sich zu einem breiten Treppenlauf zu vereinen.
Beiderseits führten als Grünanlagen angelegte Promenaden zum zweiten Hof. Dieser war quer gelagert und nach außen, zum Spreearm hin, geöffnet. Eine Säulenhalle, mit zwei, aus dem Wasser aufsteigenden Pavillons, gab den Blick auf den Fluss und das gegenüberliegende Ufer frei. Auf der anderen Schmalseite wurde ein halbrunder Sitzplatz von Baukörpern mit Flachkuppeln flankiert. Mittig befand sich eine Säule mit Statue.
Der dritte, etwas erhöhte Hof war wieder eng umbaut. Breite Stufen führten zu ihm hinauf. Ein Säulenbau um ein Brunnenbecken bildete eine durchsichtige Schranke, wodurch hier die Ausrichtung gewechselt wurde: die Achse der Promenade des ersten Hofes wurde hier mit einer leichten Abweichung fortgeführt. Den langgestreckten Gartenplatz betrat man von einer Schmalseite aus. Er befand sich zwischen zweigeschossigen Gebäuden für die Akademie und war trapezförmig in der Tiefe verengt. Hier führten groß angelegte Freitreppen auf eine hochgelegene Terrasse, welche durch ein halbrundes Bauwerk mit Säulenhalle begrenzt wurde. Sie bildete den höchsten Punkt und das Ende der Blicklinie: ein steiler Sockel mit bühnenhaft inszeniertem Reiterstandbild des Königs, war hier zugleich End- und Mittelpunkt der Anlage.
2. Die Wagenersche Stiftung und Stülers Entwurf »A«
1861 stiftete der Bankier Joachim Heinrich Wilhelm Wagener seine Privatsammlung der preußischen Krone. Seine Hoffnung war, damit eine stetig wachsende »nationale Gallerie« der »neueren« Malerei zu begründen[2], wie sie schon lange von der Öffentlichkeit gewünscht wurde. Wenige Wochen nach seinem Tod wurde die Errichtung beschlossen.
Wilhelm I. (1797-1888), Thronfolger und ab 1871 Kaiser des Deutschen Reiches, wurde von seinem Kultusminister auf die Pläne seines Vorgängers hingewiesen. Er ließ sie von Stüler ausarbeiten, der dazu am 5. November 1862 erläuterte:
Schwerlich würde man eine passendere Veranlassung und treffliche Gelegenheit zur Verwirklichung des königlichen Gedankens finden können als jetzt durch den beabsichtigten Bau der Nationalgalerie […] Wo fände man auch andererseits einen schöneren und zweckmäßigeren Platz für dieselbe, als in unmittelbarer Nähe des glänzenden Teiles unserer schönen Hauptstadt, im stets besuchten Mittelpunkte derselben und im Anschluß an die Verwaltung der vorzüglichsten und größten Kunstsammlungen des Landes? An welcher anderen Stelle und in welcher anderen Auffassungsweise als in der des Königs würde sich wohl dieses Gebäude dem Auge angenehmer und würdiger Darstellung und wie würde man besser der wunderbaren Schönheit antiker Plätze und Gebäudegruppen, welche die Schriftsteller rühmen und die gewaltigen Überreste […] ahnen lassen, sich annähern?[3]
In seiner Ausarbeitung war der Peripteros im Querschnitt gedrungener und der eingeschossige Unterbau niedriger. Im Erdgeschoss befanden sich zum Mittelgang geöffnete Räume für Skulpturen. Das Hauptgeschoss bestand aus einer langen Cella mit abschließender Apsis. Laut Stüler wäre sie der »Oberlichtsaal für Gemäldesammlungen« und »zugleich die schönste Aula für Feiern der Kunstakademie«[4]. Der Vorraum mit Treppen war von geringerer Tiefe als später ausgeführt. Das Reiterdenkmal wurde vor den Tempel versetzt.
Entlang des Spreearmufers wurde der Säulenhof durch einen zweigeschossigen Bau der Kunstakademie abgegrenzt. Diese nahm auch die Nordhälfte ein und war der umfangreichste Komplex, an den sich seitlich ein zweigeschossiger Flügel mit Räumen für die »Kunst- und Gewerbeschule« angliederte. Der dreigeschossige Vierflügelbau, gruppiert sich um einen trapezförmigen Hof. Die an der nördlichen Schmalseite gelegene Exedra mit Treppenanlage wurde geschlossen, wodurch weitere Gemälde- und Kartongalerien entstanden.
Der, die südliche Schmalseite des Akademiehofs schießende, Querbau erhielt, in den oberen Etagen, je einen Saal für kleinere Ausstellungen und im Erdgeschoss eine offene Halle als Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Hof. Die vorgezogenen Eckbauten mit Flachkuppeln korrespondierten mit dem Neuen Museum. Im mittleren Geschoss befand sich auf der Westseite eine große Vorbereitungsklasse, ein Hörsaal, ein Direktor-, Lehrer- und Vorzimmer sowie ein Sitzungssaal. Im Ostflügel fanden die Architektur- und Landschaftsklasse sowie Verwaltungsräume, Platz. In der zweiten Etage befanden sich insgesamt neun Oberlichtsäle. Mittig fügte sich hier der, von oben belichtete, Kuppelsaal ein. Man betrat ihn von einer loggienähnlichen Galerie aus.
Da die Künstlerateliers am Spreearm später entbehrlich wurden, legte Stüler einen »Verbesserte[n] 1. Entwurf« vor. Der Tempel war näher an den Spreearm gerückt und gab so, 40 Meter vom Neuen Museum entfernt, diesem mehr Licht. Er wurde abgelehnt, unter Anderem, da die Kunstakademie mehr Raum benötigte und man ihn als Galerie für ungeeignet befand.
3. Der Entwurf »B« aus dem Jahr 1863
In diesem entfiel das Hauptmotiv des zentralen Tempels. Ein freier Säulenhof vor dem Neuen Museum bildete einen rechteckigen, sich in die Tiefe erstreckenden Platz. An dessen östlicher Längsfront wurde, unmittelbar längs des Spreearms, ein zweistöckiger Bau als Gegenstück zum Museum und dessen Mittelachse aufnehmend, angeordnet. Die Kolonnaden wurden hier durch kleinere Säulenhöfe auf der Schmalseite dieses Hauses vervollständigt. Scheinbar wurden sie im Norden durch Akademiegebäude geschlossen.
Zwei Skizzen zeigen die Planung »nur als Vorschlag für die allgemeine Anordnung der inneren Räume und der äußeren Erscheinung«. Sie weisen, anhand von drei Ansichten und eines Querschnittes, eine veränderte Raumaufteilung auf. Die Grundmaße betrugen nun 63 x 40 Meter.
Das Erdgeschoss betrat man in der Mittelachse durch ein großzügig gestaltetes Vestibül. Es schlossen sich acht mittelgroße Ausstellungssäle mit einigen Nebenräumen an. Im Obergeschoss befanden sich ein zentraler Oberlichtsaal, um den sich teils seitlich, teils von oben, belichtete Räume gruppierten. Den zum Spreearm, also gen Nordosten ausgerichteten, waren Skulpturen vorbehalten.
Das Äußere wurde nur angedeutet und in kleinerem Maßstab gezeichnet. Erkennbar ist ein schlicht gequadertes Erdgeschoss, darüber gliederten paarweise gestellte Pilaster das hohe obere Stockwerk. Den Abschluss über dem Hauptgesims bildete eine mit Figuren geschmückte Balustrade, die das flach geneigte Dach und die Oberlichter verdeckte. Alle Fronten wiesen Mittelrisalite auf. Dem Blick des, aus dem Lustgarten, Kommenden fiel die südliche, dem Dom zugewandte Schmalseite auf, welche eine offene Säulenstellung und einen Giebel aufwies.
Obwohl sich die Technische Baudeputation für diesen Entwurf aussprach, fand der König die Ideen seines Vorgängers hier zu wenig berücksichtigt.
4. Der Entwurf »C« aus dem Jahr 1865
Schließlich entschied man sich für eine Kombination aus korinthischem Tempel, Kirche und Schloss oder Theater. Die optische Anbindung an das Alte Museum gelang durch lange Kolonnaden aus Schlesischem und Elbsandstein. Stüler erreichte eine möglichst große Entfernung zum Neuen Museum und die Grundfläche wurde um elf Fuß verbreitert indem am Spreearm nur noch ein schmaler Gang geplant und der Bau nordwärts gerückt wurde. Vor der Freitreppe blieb so ein ca. 40m tiefer Gartenhof. Der mittlere Hof entfiel. Detailliert berücksichtigte er die Wirkung von Licht und Schatten bei Gesimsen, Volumina, Linien, Materialien und Farben. Auf Ausführungszeichnungen finden sich nicht nur genaue Maße, sondern auch die jeweilig anzuwendende Technik. Innenarchitektonisch orientierte er sich am Raffaelsaal der Potsdamer Orangerie und dem Oberlichtsaal der Akademie.
Nun folgen im pragmatisch gegliederten Erdgeschoss auf den Kuppelsaal, der quergerichtete erste Corneliussaal, dessen Oberlicht seitliche Stichkappen tragen und auf diesen der longitudinale zweite Corneliussaal, welcher in einer Apsis endet. Beide wurden eigens für riesige Kartons mit Entwürfen zu mythologischen und religiösen Fresken von Peter von Cornelius‘ (1783-1867) konzipiert. Sie werden in zwei Geschossen von Kabinetten – unten mit Seiten-, oben mit Oberlicht – gerahmt. Im Vestibül mit Treppenhalle findet sich Otto Geyers (1843-1914) kulturhistorischer Fries, der die historische Perspektive darlegt. Von der Eingangstür aus betrachtet geht links das Treppenhaus zu den Obergeschossen ab. Gegenüber des Eingangs ist eine dreiteilige Säulenarkade. Sie wiederholt sich nach 1,3 Metern als Pilastergliederung mit zentraler flacher Nische. Seitlich davon ermöglichen Durchblicke die Erfassung der Länge des Baus. Hinter der Mittelnische setzt eine Trennwand an. Links von ihr ist eine zweischiffige vierjochige Skulpturenhalle mit Kreuzgewölben auf gekuppelten schwarzen Säulen. Hier stehen klassizistische und neobarocke marmorweiße Skulpturen. Rechtsseitig folgen aufeinander vier Bildersäle mit dem Grundriss eines gleichschenkligen Trapezes und abgeschrägten Decken.
Analog zum Äußeren eines erhöhten Tempels, entsprechen das Unter- und das Erdgeschoss der zwölf Meter hohen, rustizierten Sockelzone und das zweite und das dritte Geschoss einer Zone mit Säulen- oder Halbsäulenstellung. Zwischen diesen befinden sich markant hohe Fenster. Die oberste Etage lässt sich an der Fassade nicht ablesen. Tageslicht fällt hier durch Glasdecken ein. Die Vorderansicht des römischen Pseudoperipteros ist mit freistehenden Säulen versehen. Fassade und Außentreppe bestehen aus Nebraer-Sandstein. Die doppelläufige Freitreppe ist zugleich Denkmalsockel, Aussichtsplattform und Rahmen des ebenerdigen Eingangs. 1886 wurde hier ein bronzenes Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV. platziert. An dessen Sockel finden sich Allegorien der Religion, der Poesie, der Historie und der Philosophie.
Das Portikus schmückende Relief gibt einen Vorgeschmack auf das Programm und ist ästhetischer Ausdruck der Einheit von Kunst, Nation und Geschichte. 1876 wurde die goldene Giebelinschrift „Der Deutschen Kunst 1871“ ergänzt.
1864 wurde das Projekt genehmigt und eine Baukommission gebildet. Noch bevor Stüler am 18. März 1865 unerwartet starb, wählte er Baumeister Carl Busse als Zeichner der sehr genauen Baupläne aus. Acht der zwölf von ihm entworfenen, große Blätter sind noch heute erhalten. Sie entsprechen weitgehend dem Bau. Nach Stülers Tod übernahm Gustav Erbkam (1811-1876) die technische und Johann Heinrich Strack der Ältere (1805-1880) die künstlerische Leitung.
Entfallene Details Stülers sind eine Allegorie der Malerei und eine Skulptur im Quersaal sowie die Frieszone mit charakteristischen Kinderfiguren im Längssaal. Strack schob im Erdgeschoss je eine Querhalle in die ersten und letzten Achsen. Statt einer Mittelwand wählte er einen Quersaal und einen schmalen Mittelsaal. Er verwandt außerdem reichere, kostbarere, ornamentale und farbige Einzelformen bei der Raumausstattung, wie beispielsweise an den Säulen der Skulpturenhalle.
1867 war die Grundsteinlegung. 1872 begann nach der Vollendung des Dachstuhls, der Innenausbau. Die Eröffnung war am 22. März 1876 im Beisein des Kaisers.
Die Huldigung an Cornelius stärkt den Denkmalcharakter, den die Alte Nationalgalerie durch ihre motivische Vorgeschichte mit sich bringt. Allseitig durchgestaltet, repräsentiert sie den, in die Neurenaissance einschwenkenden, Berliner Spätklassizismus.
Literatur:
Berbig, Roland e.a.: Berlins 19. Jahrhundert: Ein Metropolen-Kompendium, Berlin 2011
Börsch-Supan, Eva/Müller-Stüler, Dietrich: Friedrich August Stüler 1800- 1865, Berlin 1997
Dorgerloh, Hartmut: Die Nationalgalerie in Berlin. Zur Geschichte des Gebäudes auf der Museumsinsel 1841-1970, Berlin 1999
Keisch, Claude (Hg.): Die Alte Nationalgalerie Berlin, London u. München 2005
Kern, Josef: Impressionismus im wilhelminischen Deutschland: Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte des Kaiserreichs, Würzburg 1989
Maaz, Bernhard (Hg.): Die Alte Nationalgalerie. Geschichte, Bau und Umbau, Berlin 2001
Rave, Paul Ortwin: Die Geschichte der Nationalgalerie Berlin. Berlin o. J. (2. Aufl. 1968)
Schuster, Peter-Klaus: die alte Nationalgalerie, Köln 2003
Singh, Stephanie: Berlin, Mississippi 2008
hallo, werte leonie gehrke!
danke bestens für den artikel über die museumsinsel, der mich aus verschiedenen gründen sehr interessiert und für mich äußerst hilfreich war!
einer der gründe: ich führe zu diesem thema demnächst als tour-guide die mitglieder eines industrieverbands (sponsoren für den schlossbau…?!) und möchte die rolle von f.w. IV. bei der konzeption der museumsinsel deutlich machen! es ist allgemein viel zu wenig bekannt, wie wichtig die entwürfe des kronprinzen und dann königs waren! von daher meine bitte: könnten Sie mir vielleicht genauer sagen, aus welchem titel das bild der skizze von f.w. stammt, oder – noch schöner (bin sehr zeitknapp) – mir einfach ein hochaufgelöstes foto schicken?? > mail@berlinertourguide.de (übrigens klappte etwas mit den direkten download der großversion des bildes nicht: „kann nicht angezeigt werden, weil datei fehler enthält…“ o.ä.; ging nur durch umständliches tricksen…)
meine ‚persönliche‘ verbindung zu fw4 findet sich hier: http://www.hofkoch.de – vielleicht zu Ihrem amüsement! wenn Sie mal in berlin sind, würde ich mich freuen, Sie kennen zu lernen!
besten gruß!
hilmar werner aka BerlinerTourGuide