Monat: Juni 2013
DAS EHEMALIGE ZISTERZIENSERKLOSTER IN HAINA – WANDEL DER ORDENSARCHITEKTUR
Das ehemalige Zisterzienserkloster in Haina zählt zu den am vollständigsten erhaltenen zisterziensischen Klosteranlagen in Deutschland. Der Wandel vom romanisch begonnen, zum gotisch beeinflussten, Bau der Klosterkirche ist kunsthistorisch spannend und wird daher in der vorliegenden Arbeit behandelt. Besonders denkmalschutzwürdig ist der Bestand der original erhaltenen Glasmalereien, welche jedoch in dieser Arbeit nicht thematisiert werden.
2 Die Klostergründungsgeschichte
Haina liegt in einer Berglandschaft am Südwesthang des Kellerwaldes zwischen dem Edersee und dem 20 Kilometer entfernt gelegenen Bad Wildungen an der Wohra im Norden und dem 35 Kilometer entfernt gelegenen Marburg im Süden.[1]
Die Gründungsgeschichte beginnt circa fünf Kilometer nördlich auf einer Anhöhe namens Aules- oder auch Aulisburg. Möglicherweise gab es dort einen vorherigen, nicht datierbaren Gründungsversuch des Benediktiner Ordens.
Um das Jahr 1140 stiftete Graf Boppo von Reichenbach und Ziegenhain mit seiner Frau Bertha mit ihren beiden Kindern Heinrich und Lutgard sowie deren Ehemann Volkwin von Schwalenberg dort ein Kloster zu ihrem Seelenheil.[2] Sechs Jahre später gründeten sie es und statteten es mit Gütern und Zehnrechten aus. Es sollte der Regula Benedicti folgen.[3] Vermutlich begann man, wegen eines Rechtsstreits, erst im Jahr 1160 mit der 36 Jahre lang andauernden Bauphase.
Aus dem niederrheinischen Kamp, wo im Jahr 1123 die erste Zisterzienserabtei auf deutschem Boden entstand, unternahm man ab dem Jahr 1140 drei Gründungsversuche. Der erste Konvent hielt sich eine Weile am vorgesehenen Ort auf, zog jedoch im Jahr 1146 weiter in das 185 Kilometer entfernt, im nördlichen Harz gelegenen Zisterzienserkloster Michelstein. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Gebäude unfertig waren. Daraufhin folgten Mönche und Nonnen eines unbekannten Ordens, eventuell Augustinerchorherren und -frauen.
Der zweite, aus Kamp entsandte Konvent hielt sich im nah gelegenen Löhlbach auf und gründete im Jahr 1162 die 122 Kilometer entfernt gelegene Zisterzienserabtei Reifenstein. Ein entsprechender Bericht der Kamper Chronik aus dem 15. Jahrhundert stützt sich auf einen Visitationsbericht des Jahres 1244. In diesem sind die ersten beiden Konvente vermutlich vertauscht worden. Man rekonstruierte es anhand des Gründungsdatums Reifensteins.[4] Der dritte, entsandte Konvent kehrte ins Mutterkloster zurück.
Gründe für das Scheitern könnten zum Einen die ungünstige geographische Lage sein: auf dem Bergrücken war wenig Platz und die Wasserversorgung erschwert. Zusätzlich kreuzten sich zwei bedeutende Handelsstraßen unweit. Auch die unzureichende Güterausstattung seitens der ziegenhainer Grafen verhinderte vermutlich die erstrebte Selbstversorgung. Ebenfalls widersprach die ziegenhainer Herrschaft ihrem Freiheitsanspruch.[5] Des Weiteren beunruhigten politische Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in der Region zwischen dem Landgrafen von Thüringen und den Erzbischöfen von Mainz die Umgebung.
Quo in loco sint construende coenobia
In civitatibus, castellis, villis, nulla nostra construendea sunt coenobia, sed in locis a conversatione hominum semotis
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An welchem Ort Klöster zu errichten sind
In Städten, Burgen und Dörfern sollen keine unserer Klöster errichtet werden, sondern an Orten, die entfernt von menschlichem Verkehr sind. |
Statua Capitulorum Generalum ordinis Cisterciensis ab anno 1116 ad annum 1786, edidit J.-M. Canivez Tomus I: I. Statutorum annorum precedentium prima collection 1134, Louvain 1933, 13. |
Im Jahr 1184 unternahm der Enkel des Stifters einen Bußgang nach Cîteaux, um die Aulesburg, unter Verzicht aller Rechte, an die
Im Jahr 1201 kaufte der Konvent das Dorf Haina als Klosterstätte an, siedelte die Bewohner aus, legte Eigenbauhöfe und Grangien an. Eventuell hielt der Konvent sich derweil in der Grangie Altenhaina auf. Die archäologische Befunde aus dem Jahr 1920 sind diesbezüglich unzureichend.Zisterzienser zu übergeben.[6] Selber wurde er später Konverse. Vier Jahre später entsandte die 250 Kilometer entfernt gelegene Abtei Altenberg einen Konvent und erhielt somit auf der Aulesburg ihre vierte Filiation.[7] Zu der Zeit müssen benutzbare Räume für Gottesdienst und das monastische Leben vorhanden gewesen sein.[8]
Im Jahr 1214 verzichtete Graf Heinrich auf das Eigentums- und Vogteirecht.[9] Im darauf folgenden Jahr stimmte der Landgraf Hermann von Thüringen der Verlegung „von einem weniger geeigneten an einen besseren Ort“[10] in das Wohratal zu. Er erlaubte den Gütertausch. Landwirtschaft konnte nun außerdem betrieben werden. Erzbischof Siegfried von Mainz nahm das entstehende Kloster am 3. oder 10. Juni 1215 unter seinen Schutz und statte es mit materiellen Gütern aus.[11] Später zitierte man in Haina baulich die Grablege der Mainzer Erzbischöfe – das im Jahr 1135 direkt von Clairvaux gegründete Kloster Eberbach im Rheingau.
Im Laufe der Zeit erwarben die Mönche, zwischen Fritzlar im Norden und Gelnhausen und Frankfurt am Main im Süden, Besitz durch Ankauf, Schenkungen und Stiftungen. Haina wurde dadurch, entgegen der Regula Benedicti, ein wohlhabendes Kloster.[12]
Quod redditus non hebeamus
Ecclesias, altaria, sepulturas, decimas alieni laboris vel nutrimenti, villas, villanos, terrarum census, furnorum et molendinorum redditus, et cetera his similia monasticae puritati adversantia, nostri et nominis et ordinis excludit institution. |
Dass wir keine Einkünfte haben sollen
Kirchen, Altäre, Begräbnisse, den Zehnt von fremder Arbeit oder Nahrung, Dörfer, Dorfbewohner, Zinsen von Ländereien, Einkünfte aus Backhäusern oder Mühlen und anderen ähnlichen der Reinheit des Mönchtums entgegenstehenden Dingen schließt die Verfassung unseres Namens und unseres Ordens aus.
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Statua Capitulorum Generalum ordinis Cisterciensis ab anno 1116 ad annum 1786, edidit J.-M. Canivez Tomus I. ab anno 116 ad annum 1220, I. Statutorum annorum precedentium prima collection 1134, 14 ff. |
3 Die Architektur eingebettet in die Klosterbaugeschichte
3.1 Der Bernhardinische Plan
Eine Zisterzienserkirche sollte, gemäß der Regula Benedicti, ein schlichter Betraum sein. Ohne Ablenkungsmöglichkeit, durch bunte Bilder an den Wänden, in den Fenstern oder durch Skulpturen und ohne Bauluxus.
Kennzeichnend für den Bernhardinischen Plan ist ein quadratischer Chor mit zwei oder drei flankierenden, platt schließenden Querhauskapellen. Nachdem Bernhard von Clairvaux im Jahr 1153 gestorben war, übernahm man die nordfranzösische Kathedralgotik und entfernte sich von der ursprünglichen Schlichtheit.
3.2 Die vier Bauabschnitte der Klosterkirche
3.2.1 Der erste Bauabschnitt
Als man in Haina im Jahr 1215 oder 1216 mit dem Bau begann, war Bernhard von Clairvaux seit 60 Jahren verstorben.[13] Umgangschöre hatten sich in der Architektur der Zisterzienser durchgesetzt. Dennoch begann man in Haina traditionell, wie in den zisterziensischen Anfangszeiten. Der Baubeginn fiel nämlich in eine restaurative Phase der Ordensgeschichte. Der Grundriss der Klosterkirche folgt dem Bernhardinischen Plan und ähnelt Clairvaux II.
Geplant war eine romanische, dreischiffige Basilika mit niedrigeren Seitenschiffen, quadratischem Schematismus und gebundenem System.[14] Charakteristisch war die bernhardinische Ostlösung mit Rechteckchor und insgesamt sechs Querhauskapellen, die jeweils durch niedrige, unprofilierte, in die Sockelzone eingelassene Rundbögen mit dem Querhaus und dem Sanktuarium verbunden waren.[15]
Man baute den Chor und das Querhaus bis zur Höhe des Gesimsganges und das erste Langhausjoch.[16] Mit dem Sockel legte man die Dimensionen des 70 Meter langen Langhauses fest.[17] Die
zweischaligen Wände sind 1,9 Meter stark und ähneln dem heisterbacher Wandaufbau.[18] Der langsame
Baufortschritt lässt sich mit den damit verbundenen, hohen Kosten erklären. Auf der Südseite des Chors
befindet sich eine Piscina. Das Äußere ist ungegliedert.[19] Ein rundbogiges Portal führt aus dem Kreuzgang-Ostflügel in das erste Langhausjoch. Es enthält ein Agnus-Dei-Relief im Tympanon und gotisierendes Blattwerk, was eine erste Aufweichung der zisterziensischen Strenge bezüglich der figürlichen Ausgestaltung darstellt.[20]
Der Friedhofsausgang befindet sich in der Wand des nördlichen Querhauses. Im südlichen Querhaus führte eine Treppe zum Dormitorium – dem Schlafsaal der Mönche.[21] Die westlichen Vierungspfeiler haben im unteren Teil die Gestalt eines kreuzförmigen Kerns, rechteckige Vorlagen springen hervor. Eingestellte Dienste erinnern an den Dom zu Paderborn. An ihnen wurden bei der ersten Weihe der ecclesia am 1. April 1224 Kreuze angebracht.[22] Der Landgraf von Thüringen und der Erzbischof von Mainz stifteten bei der Gelegenheit die Hasenglocke.[23] Die liturgische Nutzung wurde vermutlich vorerst durch eine Holzdecke möglich.
3.2.2 Der zweite Bauabschnitt
Der Konvent in Haina wurde um das Jahr 1235 finanziell von Altenberg unabhängig. Somit wurde ein Bau mit den anspruchsvolleren Formen des gotischen Stils nordfranzösischer Sakralarchitektur möglich.[24] Innerhalb von zehn bis 15 Jahren stellte man das Obergeschoss des Chors und des Querhauses fertig. Ein innen und außen umlaufendes Gesims symbolisiert die Änderung des Architekturcharakters.
Das Äußere gliederte man noch romanisch: lediglich am Chor mit einem Rundbogenfries mit darüber gelegtem Sägenfries in Dachtraufenhöhe. Die eventuell später eingebauten Fenster sitzen in tiefen Nischen direkt auf dem Sockel, zwischen nach innen gezogenen Strebepfeilern.
Der innere Laufgang um Chor und Querhaus ähnelt ebenfalls Heisterbach. Im Osnabrücker Dom tritt ein Ähnlicher im Ostbereich
Im Sanktuarium, Querhaus und in der Vierung entstand ein Kreuzrippengewölbe. Chor und Querhaus weisen jeweils zwei Gewölbejoche auf. Im Querhaus finden sich die Evangelistensymbole als Konsolplastiken. Der früheste, typischerweise über der Vierung platzierte, Dachreiter ist nicht vermerkt.auf. Die Zisterzienser des Klosters Marienfeld hatten hier mitgewirkt. In den ostfriesischen Kirchen in Bunde und Engerhafe findet sich ebenfalls ein quadratischer Chor und ein innerer Laufgang.
Parallel entstand in Marburg, mit der Elisabethkirche, eine der ersten Hallenkirchen.
wurde nun ebenfalls im Hallenquerschnitt angelegt. Eine Baunaht im ersten östlich Langhausjoch ist noch deutlich zu erkennen: das Gurtgesims macht einen rechtwinkligen Knick nach oben und verläuft etwa einen Meter höher, am Langhaus entlang, weiter.[25] An den Innenwänden der Seitenschiffer erkennt man eine senkrechte Rille.[26] Sie zeigt, dass die Fenster ursprünglich breiter geplant waren. Unklar bleibt, ob die Annahme einer früheren Datierung der Elisabethkirche in Marburg korrekt ist: die Auswertung der jüngst abgeschlossenen Restaurierung zeigt, dass die Annahme einer früheren Datierung der Marburger Kirche nicht bestätigt werden kann, sondern, dass die Formensprache Hainas einfacher und weniger entwickelt ist.
Das Hainaer Langhaus
Um eine Stelzung der schmaleren Seiten, gegenüber den doppelt so breiten Mittelschiffgurten zu vermeiden, setzte man den Gurtbogen im Seitenschiff höher an, als den des Mittelschiffs.[27]
3.2.3 Der dritte Bauabschnitt
Zwischen den Jahren 1260 und 1270 wurde der neunjochige Langhausbau fortgesetzt.[28] Das westlichste, neunte Joch ist etwas länger.[29] Auch die ungerade Anzahl ist ungewöhnlich. Ein Erklärungsansatz könnten die ursprünglich breiter geplanten Fenster sein.
Die Sockelzone aus Bruchstein ist dick und ungegliedert. In den fünf östlichen Langhausjochen wird sie von wenigen, kleinen Fenstern durchbrochen. In den Nischen befanden sich Altäre. In der Sockelzone
der südlichen Langhauswand finden sich keine Fenster, da sich hinter ihr der Lesegang befand.[30] Außen setzen flache Strebepfeiler, jeweils über einem Rücksprung, an. Oberhalb der Wassserschläge waren kapitellbekrönte Runddienste. Der Obergaden ist deutlich zurückgesetzt.
Aus Marburg übernahm man die monumental kantonierten Pfeilerformen mit dem dazugehörigen Dienstapparat.[31] Zum Mittelschiff hin, kragte man sie typisch zisterziensisch ab, so dass sie auf dem Sockelgeschoss auf Konsolen am Kaffgesims ruhen.[32] Die westlichen Vierungspfeilern ergänzte man mit zusätzlichen Diensten, so dass die Dienstbündel das selbe System aufweisen.[33]
Die Bauplastik nahm zu: sichtbar ist es an den Kapitellen mit naturalistischem Laubschmuck. Das Gewölbe wird von vielteilig profilierten Gurtbögen, Rippen und Scheidbögen getragen. Das heute noch teilweise erhaltene Chorgestühl entstand unter Verwendung älterer Teile aus der Zeit um 1245.[34] Beispielsweise der im Jahr 2006 restaurierte Levitensitz mit aus Holz geschnitzten allegorischen Figuren: der Affe steht für die Eitelkeit, der Molch für die Sünde, die Eule für die Klugheit und der Löwe symbolisiert die Kraft.[35]
3.2.4 Der vierte Bauabschnitt
Zwischen dem Ende des 13. Jahrhunderts und dem Jahr 1328 vollendete man das Langhaus.[36] Die vier westlichen Joche für die Konversen und die Chorschranke wurden errichtet. Die Wand oberhalb des Gesmises ist dünner und besteht aus Steinquadern.
Die Chorschranke – Clausura genannt – baute man zwischen dem sechsten und siebten westlichen Joch. Sie misst 3,2 Meter in der Breite. Zentral findet sich ein weiter Bogen mit eingeschriebenen Dreipass unter einem krabbenbesetztem Giebel.[37] Der endet in sechs Metern Höhe in einer Kreuzblume, welche bis Anfang des 20. Jahrhunderts das monumentale Triumphkreuz trug.[38] Zwei Zugänge führen aus dem Mittelschiff in den Mönchschor. Zwei Weitere verbinden die Seitenschiffe des Mönchs- und Konversenbereiches miteinander. Ehemals waren sie mit Türen versehen. Die Chorschranke stellte eine architektonische Rahmung für den davorstehenden, im Jahr 1270 geweihten, Kreuzaltar dar.[39] Dessen steinernes Retabel ist verloren. Seitlich sind tiefe Nischen, die vermutlich der Aussetzung von Reliquien dienten. Beispielsweise von den 11.000 Heiligen Jungfrauen Kölns, zur Andacht der Konversen. Vermutlich stand auch in den Seitenschiffen vor der Clausura jeweils ein Altar, wobei angemerkt sei, dass der nördliche Teil eine Ergänzung des 19. Jahrhunderts ist. Die Westseite war polychrom gefasst. Auf der Ostseite war eine einfach gemalte Quaderung.[40]
Die zunehmende Bauplastik findet sich im dritten und vierten westlichen Joch. Konsolen und Schlusssteine zieren figürliche und groteske Motive, beispielsweise ein Hund, ein Widder, Menschenantlitze in Laubmasken oder Harpyien, Drachen oder Fledermäuse zur Abwehr des Bösen.[41] Über der Chorschranke findet sich Maria als Patronin der Kirche und das Siegeslamm. [42] Bernhard von Clairvaux lehnte sie, wie bereits beschrieben, ab.[43]
In der Südwestecke lässt sich noch der vermauerte Konverseneingang erkennen.[44] Der Pfortenraum diente als Durchgangsraum.[45] Abschließend entstand im Westbau ein kleines Eingangsportal.[46] Über der Tür, unter einem Baldachin steht eine Marienplastik als Schmuck am Außenbau und Symbol für die typisch zisterziensische Widmung der Kirchen an die Gottesmutter.[47] Walmdächer über den Seitenschiffjochen, ähnlich wie in Marburg, ließen First und Giebel spitz und schmal wirken.[48] Spuren der Nahtstelle sind an der Westfassade sichtbar.[49]
Um das Jahr 1380 wurde an der Nordwand des Chors ein Wandtabernakel eingebaut.[50] Er wird Meister Tyle von Frankenberg zugeschrieben, der bekannt war für seine Feinheit der Meißelarbeiten. Im unteren Bereich ist eine Schranktür, zwischen ihr und einem gotischen Spitzbogen, unter einem, mit Krabben geschmückten Dach, sitzen, links vom Betrachter aus gesehen, Paulus und rechts Jakobus auf einer Steinbank. Sie sind durch Schriftbänder mit gotischen Minuskeln gekennzeichnet. Paulus hält die Worte „Du versicherst, dass Christus hier gegenwärtig ist“, Jakobus hingegen „Wahrlich, der Herr ist an diesem Orte“. Das Dach wird von gotischen Fialen seitlich begrenzt. Dazwischen stehen, auf Sockeln in Dreipassblenden, rechts Johannes mit dem Lamm und einem Schriftband „Siehe, dieses ist das Lamm Gottes“ und links König David ebenfalls mit einem Schriftband „Dieser ist Gott, unser Gott, in Ewigkeit.“ versehen. Oberhalb schließen Wappen der auftraggebenden und stiftenden Familien von Gilsa und von Hund unter einem Gesims das Werk ab.[51]
3.3 Die Klausurbauten
Rings um den, ursprünglich flach gedeckten, Kreuzgang reihten sich die Konventsräume gemäß der benediktinisch-zisterziensischen Architektur.[52] Der Nordflügel entstand erst ab dem Jahr 1858. Eingebettet in das Kreuzganggeviert lag der Kreuzgarten.
Zahlreiche Gebäude des Klosters sind nicht mehr vorhanden: heute finden sich an der Südwestecke noch der Konversenbau – ein dreigeschossiger Bau des 15. Jahrhunderts, und das Pfortengebäude beziehungsweise das Torhaus. An der Südseite liegt die Klosterspende mit einem gotischem Treppenturm und bekrönt mit einer barocken Haube. Arme erhielten hier von der Klosterküche Almosen. Das Abtshaus lag gegenüber der Klosterküche. Beide Gebäude waren durch eine Übergang verbunden. Am Südwestausgang liegt noch die spätgotische Zehntscheune mit Stallungen. Außerdem finden sich noch Reste alter Klostermauern.[53]
Der Ostflügel stammt aus dem Ende des 13. Jahrhundert. Im ersten Raum neben dem Agnus-Dei-Portal befand sich die Sakristei zur Aufbewahrung kirchlicher Geräte und die Bibliothek.[54]
Der Kapitelsaal schloss sich, mit zum Kreuzgang ausgerichteten Fenstern, an. Er war gewölbt und wies 2:3 Joche auf. Es finden sich hier ebenfalls Blattkapitelle und Schlusssteine. An den Wänden waren rundherum Holz- und Steinbänke. Abt und Konvent besprachen sich in diesem Raum. Sie legten hier außerdem ihre Gelübde ab, erhielten ihr Gewand und ihren Gürtel. Auch die Totengedächtnisse wurden hier gehalten.
Daneben befand sich der Aufgang zum Dormitorium. Es erstreckte sich über die ganze
Länge des Ostflügels. Anschließend führte ein Gang zu den östlich gelegenen Gebäuden. Im darauf folgenden Parlatorium verteilte der Cellerar die täglichen Arbeitsanweisungen.[55]
3.3.2 Der Südflügel
Den Südflügel errichtete man in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Im Osten liegt das Kalefaktorium – die Wärmestube. Das sich anschließende Refektorium – der Speisesaal – wurde parallel zum Kreuzgang errichtet.[56] Es ist zweischiffig mit je fünf Jochen. Drei der ehemals dort stehenden Tische stehen heute im südlichen Querhaus der Kirche. Man aß schweigend, während ein Mönch von einer erhöhten Kanzel aus vorlas. Der Gang zur Kanzel durch die Wand besteht noch. An der Ostseite steht ein ein Altar, über dem ein Gemälde aus dem Jahr 1788 von Johann Heinrich Tischbein dem Älteren (1722-1789) mit dem Titel Christus am Ölberg angebracht ist. Er war ein Großvater des berühmten Goehtemalers.[57]
Gegenüber des Refektoriums, am Eingang zum Kreuzgarten stand das Brunnenhaus. Heute sind noch seine Mauerreste erkennbar.[58] Das Obergeschoss ist ein Neubau.
3.3.3 Der Westflügel
Der Westflügel mit Anbau ist etwa gleichzeitig mit dem Südflügel entstanden. Hier befand sich der Eingang zum ehemaligen Konversenbau. Die heutige Gestaltung geht auf die Pläne des Baumeisters Georg Gottlob Ungewitter zurück. Im 19. Jahrhundert veranlasste er die Einwölbung. Der Flügel war nämlich wegen einer Erweiterung des Dormitoriums zu Hospitalszeiten baufällig geworden.
3.4 Die baulichen Veränderungen
Mehrere Epitaphien der Grafen von Ziegenhain aus der Zeit vom 14. bis 15. Jahrhundert stehen heute in den vermauerten Kapelleneingängen. Im Spätmittelalter erhielt die Kirche nach einem Brand ein einheitliches Satteldach.
m frühen 16. Jahrhundert kam ein lebensgroßer, realistisch dargestellter Kruzifixus des Dreinageltypus hinter dem Hochaltar hinzu.[59] Während der kürzlich abgeschlossenen Restaurierung wurde die aktuelle vierte Fassung durch Festigung und eine Oberflächenreinigung konserviert.
4 Der anschließende Verlauf
4.1 Die Auswirkungen der Reformation
Im Zuge der Reformation und der einhergehenden Säkularisation der hessischen Klöster durch Landgraf Philipp den Großmütigen, fand der Konvent im Jahr 1527 Zuflucht in Frankfurt. Ein Jahr später war er Exilkonvent in Mainz. Im Jahr 1648 fand die Wiedervereinigung mit dem Konvent in Altenberg statt.[60]
Im Jahr 1533 stiftete man die Hohen Hospitäler in Hessen zur Armen- und Krankenfürsorge. Aus dem Klosterbesitz stiftete man die Universität Marburg.
Der Philippstein aus dem Jahr 1542 ist ein Steindenkmal an der Südwand der Konversenkirche, neben der Chorschranke. Es ist ein Relief geschaffen vom Frankenberger Meister Philip Soldan. Dargestellt ist die Umwandlung des Klosters in ein Hospital durch Landgraf Philipp den Großmütigen zur Erinnerung an die reformatorische Grundlage.[61]
Man erkennt Flugschriften der Reformationszeit und Bilder mit interpretierenden Schrifttafeln. Links vom Betrachter aus gesehen, steht Landgraf Philipp in herrschender Pose und modisch als Adeliger seiner Zeit gekleidet. Neben ihm findet sich seine Vorfahrin – die heilige Elisabeth – die sich zu einem Kranken herab neigt, um ihm Essen und Trinken zu reichen. Der Kranke ist von Pocken gezeichnet und hockt auf Krücken gestützt. Mittig verkörpert eine Harpyie mit Mönchskappe das Mönchstum.[62]
Die Querhauskapellen wurden im Jahr 1675 wegen Baufälligkeit abgebrochen und die Rundbögen zugemauert.
Im 19. Jahrhundert unternahm man neugotische Eingriffe. Bereits im Jahr 1828 mahnte der Hospitalbaubeamte Nau die Reparatur der Glasfenster an. In der Zeit zwischen den Jahren 1849 und 1856 wurde eine Sanierung und Instandsetzung, die der Hospitalarchitekt Friedrich Lange leitete, durchgeführt. Im Jahr 1889 errichtete man den prägnanten Vierungsturm.[63] Zuvor war dort ein Turm der Barockzeit. Man ergänzte mindestens drei moderne Glocken.[64]
Im letzten Jahrhundert – 1953 – wurde der Landeswohlfahrtsverband Hessen durch das Mittelstufengesetzt unter Anderem Eigentümer des ehemaligen Klosters. Im Jahr 1938 legte man die farbige Ausgestaltung frei.[65] Das Fassungssystem ließ sich rekonstruieren: weiß getünchte Wandflächen ohne Fugenstriche, hellrot gefasste Gewölbekappen mit weißen Ziegelfugen und nahe am Schlussstein ein großer, weißer, sechsstrahliger Stern mit mehrfarbiger Mittelrosette. Die Pfeiler waren mit weißen Fugen, Gurte, Rippen und Dienste ocker und schwarz bemalt. Die Vierungsbögen wurden durch weiß gefasste Profile hervorgehoben. Die Außenwände zeigten Fugenmalerei, setzten sich aber hellgrau von den roten Gewölben ab.[66]
Teilweise über den Kapelleneingängen und an den Langhauswänden befinden sich noch heute Reste der Altartituli.[67] m südlichen Seitenschiff ist über der Chorschranke eine Strichzeichnung der Heiligen Katharina von Alexandrien. Reste von Malereien sind außerdem im nördlichen Querhaus neben dem Mönchsfriedhofsportal und an der nordwestlichen Langhauswand. Im Fußboden wiederholten sich vermutlich die Muster der Fenster.[68]
Im Jahr 1969 baute man eine Orgel von der Firma Vogt aus Frankfurt am Main ein. Im Jahr 1982 wurde das ehemalige Kloster in das Förderprogramm des Bundes zur Erhaltung und zum Wiederaufbau von Baudenkmälern mit besonderer nationaler kultureller Bedeutung aufgenommen. Seitdem bis zum Jahr 2012 fand daher eine umfassende Grundrestaurierung für 7,013 Millionen Euro statt. Das Projekt trugen der Bund, das Land Hessen und der LWV Hessen.
Die jüngste Entwicklung ist durch die Privatisierung verschiedener Einrichtungen der psychiatrischen Klinik gekennzeichnet, das hochmoderne Gesundheitszentrum heißt Vitos Haina. Die Konversenkirche dient während des Sommers als Gemeindekirche und wird für Konzerte genutzt.[69]
5 Zusammenfassung und Darstellung des aktuellen Forschungsstands
Anhand der Klosterkirche in Haina kann der unterschiedliche Umgang der Denkmalpflege im Laufe der Zeitgeschichte ersichtlich gemacht werden. In dem kürzlich erschienen Buch werden Maßnahmen und kontrovers diskutierte Konzepte seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschildert.
Ein Schwerpunkt der Forschung liegt auf dem Umgang mit den 19 kostbaren, mittelalterlichen Glasfenstern. Im Besonderen jedoch auch auf der Erforschung ihrer Ornamentik und der architektonischen Planänderungen. Diese sind letztendlich in vielen Fällen nicht eindeutig zeitlich zuordenbar. Die zuletzt in den 20er Jahren des vergangen Jahrhunderts vorgenommenen archäologischen Grabungen sind nicht zufriedenstellend dokumentiert. Die aktuell nötigen Untersuchungen sind in absehbarer Zeit nicht finanzierbar.
6 Literaturverzeichnis
Friedrich 2008 | Friedrich, Arnd: Ehemalige Zisterzienserabtei Kloster Haina, 3. Aufl. (Kleine Kunstführer),Regensburg 2008.
|
Friedrich 1987 | Friedrich, Arnd: Kloster Haina, Königstein im Taunus 1987.
|
Friedrich/Heinrich 1998 | Arnd Friedrich/Fritz Heinrich (Hg.): Die Zisterzienser und das Kloster Haina, Petersberg 1998.
|
Götze/Vanja/Buchstab 2011 | Götze, Gerold (Herausgeber); Vanja, Christina (Herausgeber); Buchstab, Bernd (Herausgeber): Klosterkirche Haina. Restaurierung 1982-2012; Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen; 19 Theiss 2011.
|
Liemke 1911 | Liemke, Otto: Das Kloster Haina im Mittelalter, Lüdenscheid 1911.
|
Rüffler 2008 | Rüffler, Jens: Die Zisterzienser und ihre Klöster. Leben und Bauen für Gott, Darmstadt 2008.
|
Schurr 2007 | Schurr, Marc Carel: Gotisch Architektur im mittleren Europa 1220-1340. Von Metz bin Wien, München u. Berlin 2007, 38-44.
|
Schürer 1926 | Schürer, Oskar: Die Baugeschichte der Klosterkirche zu Haina, 1926, In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft Marburg, Lahn 2.1925/26.
|
Untermann 2001 | Untermann, Matthias: Forma Ordinis. Die mittelalterliche Baukunst der Zisterzienser (Kunstwissenschaftliche Studien, 29), München u. Berlin 2001. |
[1]Friedrich 2008, 2.
[2]Friedrich/Heinrich 198, 25.
[3]Friedrich 2008, 2.
[4]Ebd., 3.
[5]Untermann 2001, 188.
[6]Untermann 2001, 458.
[7]Friedrich 2008, 3.
[8]Untermann 2001, 458.
[9]Friedrich 2008, 3.
[10]Friedrich 1987, 7.
[11]Untermann 2001, 458.
[12]Friedrich 2008, 6.
[13]Friedrich 2008, 4.
[14]Ebd., 8.
[15]Untermann 2001, 458.
[16]Friedrich 2008, 8.
[17]Untermann 2001, 472.
[18]Schürer 1926, 98 f..
[19]Untermann 2001, 486.
[20]Friedrich 2008,18.
[21]Ebd., 10.
[22]Untermann 2001, 458.
[23]Friedrich 2008, 6.
[24]Schurr 2007, 40.
[25]Friedrich 2008, 12 ff..
[26]Untermann 2001, 207.
[27]Ebd., 487.
[28]Schurr 2007, 40.
[29]Friedrich 2008, 6.
[30]Ebd., 14.
[31]Schurr 2007, 42.
[32]Untermann 2001, 655.
[33]Schurr 2007, 42.
[34]Untermann 2001, 488.
[35]Friedrich 2008, 10.
[36]Untermann 2001, 207.
[37]Ebd., 257.
[38]Ebd., 241.
[39]Ebd., 253.
[40]Ebd., 257.
[41]Ebd., 655.
[42]Friedrich 2008, 14.
[43]Rüffler 2008, 21.
[44]Friedrich 2008, 14.
[45]Untermann 2001, 259.
[46]Ebd., 268.
[47]Friedrich 2008, 6.
[48]Untermann 2001, 488.
[49]Friedrich 2008, 8.
[50]Friedrich 1987, 37.
[51]Friedrich 2008, 10.
[52]Ebd., 18 ff..
[53]Ebd., 26.
[54]Ebd., 18.
[55]Ebd., 22.
[56]Rüffler 2008, 128.
[57]Friedrich 2008, 22.
[58]Ebd., 24.
[59]Ebd., 10.
[60]Ebd., 3.
[61]Ebd., 16.
[62]Ebd., 18.
[63]Ebd., 6.
[64]Ebd., 8.
[65]Untermann 2001, 488.
[66]Ebd., 651.
[67]Ebd. 248.
[68]Rüffler 2008, 82.
[69]Friedrich 2008, 16.
Johann Erdmann Hummel: Das Schleifen der Granitschale & Die Granitschale im Lustgarten, 1831
1. Die Granitschale
Am 6. November 1828 erreichte die vorgefertigte Schale, aus 1420 Millionen Jahre altem rotem Karlshamn-Granit, das für sie errichtete Gebäude in Fürstenwalde. Dort befand sich eine Dampfmaschine, welche sie innerhalb von zweieinhalb Jahren fertig schliff und polierte. Diese maschinenunterstützte Bearbeitung eines Hartgesteins feierte damals auf deutschem Boden ihre Primäre.
1831 wurde das etwa 75 Tonnen schwere, »Biedermeierweltwunder« oder liebevoll »Berliner Suppenschüssel« genannte Stück, circa 80 Kilometer weiter, bis zu seinem Bestimmungsort, auf die Berliner Museumsinsel transportiert. Da sie nicht, wie ursprünglich vom Oberlandesbaurat Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) geplant, in die Rotunde des Alten Museums passte, platzierte man sie vor dessen Freitreppe in einem Halbrund des Lustgartens.
Damals war sie die größte aus einem Stein gefertigte Schale. Sie galt als technisches Wunderwerk der Bearbeitung und des Transportes und wurde zu einem Kult- und einem Kulturgestein, sowie zu einem Mythos und einem vaterländischen Symbol verklärt. Entstanden ist sie aus einem Konkurrenzkampf heraus, den der preußische König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) gegen England, wo sich zwei ähnliche Schalen befanden, focht.
2. Die Intention Johann Erdmann Hummels
Der Kunstprofessor, Maler und Graphiker Johann Erdmann Hummel (1769-1852) thematisierte und reflektierte künstlerisch das damalige preußische Hauptstadtleben. Er dokumentierte in seinem dreiteiligen Bilderzyklus den Fokus des damaligen öffentlichen Interesses. Dieser wurde erstmalig unter dem Titel Granitschalenbilder auf der Akademieausstellung 1832 präsentiert.
Das Ensemble war ein Jahr zuvor, parallel zu dem sensationellen Ereignis, entstanden. Die drei Gemälde waren der Zenit seiner künstlerischen Arbeit und zugleich eine Würdigung des Schaffens des verantwortlichen Steinmetzen und Baumeisters Christian Gottlieb Cantian (1794-1866).
Die Granitschalenbilder ersetzten Hummels Versuch der zwanziger Jahre einen Bildraum durch dezentralisierte Perspektive zu variieren und sie waren die Grundlage seiner Darstellung imaginärer Architektur von 1839.
3. Die Bilder
Mit seinem wissenschaftlichen Blick und seiner Faszination für die Komplexität der Konvex-, Konkav- und Planspiegel, hielt er in mehreren Ölgemälden und Skizzen das Schleifen, Wenden und Aufstellen des exquisiten Solitärs fest. Er kombinierte die Zentralperspektive mit dem Spiegeleffekt von 360 Grad, um zugleich einen einfachen Bildraum und einen mehrschichtigen Raum darzustellen. Sachlich, klar und nüchtern konstruierte er seine Arbeiten mathematisch-stereometrisch so exakt, dass wirklichkeitstreue, beinahe fotografische Wiedergaben entstanden.
Den Spitzname »Perspektiv-Hummel« gab man ihm, da er berühmt für seine handwerkliche Genauigkeit und perspektivische Gestaltung, andere Künstler hierin unterrichtete: 1809 erhielt er einen Lehrauftrag für Perspektive, Architektur und Optik an der Berliner Akademie der Künste.
Auch in den hier behandelten Werken malte er meisterlich präzise die räumliche Darstellung und sämtliche Effekte glänzender Reflexion. Besonders deutlich zu erkennen ist dieses auf der Schalenunterseite, aber auch an der Oberfläche selber, mit ihren unterschiedlichen Farben. Er wählte das Format gemäß der Proportionen des Gegenstandes. Selber erläuterte er im Ausstellungskatalog:
Es wird vielleicht Einigen auffallen, dieselbe Schale in jeder der drei verschiedenen Ansichten in einer andern Farbe dargestellt zu sehen; ich mache daher darauf aufmerksam, daß dieselbe poliert ist und folglich die Farbe der Gegenstände annimmt welche sie umgeben.[1]
3.1 Das Schleifen der Granitschale
Der Betrachter schaut frontal auf die umgedrehte Granitschale. Sie befindet sich in einem oktogonalen Holzrahmen der Schleifmaschine und nimmt die Werkstatt fast komplett ein. Da dieser den unteren Bildrand schneidet, wirkt das Dargestellte sehr nah, bald einengend auf den Betrachter. Mittig an der Decke, über der Schale, ist die Poliervorrichtung fixiert. Sie gleitet mit zwei, sich gegenüberliegenden und an die konkav-konvexe Form angepassten Armen, bearbeitend über den Granit. An einigen Stellen des eisernen Konstruktes ist Rost sichtbar.
Im Hintergrund sieht man lediglich braun verputzte Gefache und Fenster, welche von der bereits polierten Oberfläche reflektiert werden. Gut erkennt man den, durch die regelmäßigen quadratischen Fenstersprossen sichtbaren, bewölkten Himmel. Vom Bildbetrachter ausgehend etwas links der Mitte spiegelt sich die offene Eingangstür, durch welche eine Flusslandschaft zu erkennen ist. Die farbigen Reflexionen kontrastieren den rot-schwarzen Granit.
Als einziges erzählerisches Element weist der Fluss, auf welchem die Schale später weiter transportiert wird, auf das Bevorstehende voraus.
3.2 Die Granitschale im Lustgarten
Der Betrachter scheint vom Alten Museum aus in Richtung des Berliner Schlosses zu blicken. Im Vordergrund ist die kolossale Granitschale im Lustgarten dargestellt. Sie liegt auf einem provisorischen Sockel unter einem blauen Himmel mit, vom linken Bildrand her, aufziehenden Wolken. Unter ihr befinden sich drei Steinblöcke, welche noch in die dafür vorgesehenen Vertiefungen der kreisrunden Sockelplatte eingelassen werden müssen.
Den Hintergrund beherrscht das perspektivisch verkleinerte Berliner Schloss, vor welchem ein kreisrunder Springbrunnen das Element des sich bewegenden Wassers, gemäß der Flusslandschaft im ersten Bild, aufnimmt. Am linken Bildrand erscheint die Front des Berliner Doms zwischen hohen Nadelbäumen und hinter einer Reihe noch sehr junger Kastanienbäume.
Um die Schale herum und auf den Wegen zwischen den abgesperrten, rechteckigen Rasenfeldern, flanieren mehrere puppenhaft steife Figuren, welche sich teilweise in der Schalenunterseite widerspiegeln. Vorne, links der Mitte, betrachtet beispielsweise ein Offizier in preußischer Militäruniform das Werkstück. Weiter links schaut der verantwortliche Steinmetz Cantian, mit Zylinderhut und in Gehrock gekleidet, auf das Ergebnis seiner Arbeit. Dem Betrachter gegenüber geht ein junger Mann mit einer Aktentasche unter seinem linken Arm. Am rechten Bildrand sind die beiden Söhne Hummels, Fritz und Erdmann, in jungem Alter porträtiert. Sie tragen grüne Ausgehkleidung und schauen zur Schale. Der hintere ist seinem Bruder zugewandt und deutet mit seinem rechten Arm auf das Stück. Zu ihrer Linken steht vermutlich ihre juvenile Cousine, welche dem Betrachter entgegen schaut. Die Schatten fallen fast horizontal gen linken Bildrand.
Hummel fängt die besondere Aura des neuen Art Heiligtums, zu welchem die Menschen pilgergleich wallfahren, ein.
4. Die Versionen
Es existiert eine zweite Version der Granitschalenbilder. Sie befindet sich heute im Stadtmuseum Berlin jedoch ist die Aufstellung während des Zweiten Weltkrieges im Märkischen Museum verbrannt. Die Alternativfassung des Bildes Das Schleifen der Granitschale zeigt König Friedrich Wilhelm III. (1797-1840), Cantian und einen Arbeiter neben der Schale. Sie war vermutlich für den Baumeister persönlich bestimmt.
Die hier thematisierten Bilder entstammen der ersten Version und damit aus dem ehemaligen Besitz der Familie Bialon, welche Nachfahren Casper Hummels waren. Dieser Bruder Johann Erdmanns nahm mit seiner Firma an der Bearbeitung der Schale teil.
In Studien und Skizzen zu den Bildern finden sich feingliedrige Figurengruppen. Eine der Vorzeichnungen befindet sich ebenfalls in der Nationalgalerie.
5. Die Reaktionen
Der Kunsthistoriker Franz Theodor Kugler (1808-1858) kommentierte, es sei ein »sehr treues und vollkommen gelungenes Bild eines für bildliche Darstellung doch zu wenig geeigneten Gegenstandes«[2]. Die Trockenheit des Gegenstandes, die radikale Sachlichkeit und das nicht vorhandene erzählerische Moment riefen weitere Kritik hervor:
Selbst abgesehen von dem sehr relativen Interesse dieser Darstellungen, machen sie doch keine Wirkung. Wie sorgsam und richtig die Perspektive auch konstruiert, und wie treu die Spiegelung seyn mag, so macht dies immer noch kein Bild, in welchem man diese Requisiten als untergeordnete Bedeutung, endlich auffindet, nachdem sie zu einer Totalwirkung beigetragen haben.[3]
Schatten- und Spiegelungskonstruktionen stehen im Mittelpunkt, wobei die umgekehrte Widerspiegelung der Spaziergänger und Zäune in der glänzend polierten Unterseite der Schale sehr übertrieben erscheint. […] Der Farbton ist kühl, jedes malerische Element ist ausgeschaltet, Zirkel und Lineal sind bestimmend.[4]
Dem heutigen Betrachter gefällt der sachliche Realismus: die Stille und die Klarheit der Form[5].
Johann Erdmann Hummel war einer derjenigen, die die Voraussetzungen für den Realismus im 19. Jahrhundert schafften. Im Besonderen wird das hier behandelte Werk oft als Wegbereiter Adolph Menzels Eisenwalzwerk aus den Jahren 1872-1875 gesehen, welches die Malkultur jedoch, anders als Hummel, über die Sachlichkeit stellte.
Literatur:
Beeskow, Hans-Joachim: Die Berliner nannten ihn den »Perspektiv-Hummel«. Der Maler Johann Erdmann Hummel (1769-1852), in: Berlinische Monatsschrift, Heft 10 (1997), S. 64-67
von Donop, Lionel: Hummel, Johann Erdmann, in: Allgemeine Deutsche Biographie 16, Leipzig 1882, S. 387
Einholz, Sybille: Die Große Granitschale im Lustgarten. Zur Bedeutung eines Berliner Solitärs, in: Geschichtsverein Berlin (Hg.): Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins Geschichte für Berlin, Berlin/ Bonn 1997 Folge 46, S. 41-53
Hummel, Georg: Der Maler Johann Erdmann Hummel. Leben und Werk, Leipzig 1954
Ozeki, Miyuki: Die Rolle der Perspektive in der Kunst Johann Erdmann Hummels, Berlin 2002
Widerra, Rosemarie: Berliner Kunst vom Barock bis zur Gegenwart, Ausst.-Kat. Berlin o. J.
Zöller, Michael (2003): Berliner Meisterwerke. „Die Granitschale im Berliner Lustgarten“ von Johann Erdmann Hummel (1831) in der Alten Nationalgalerie, in: B.Z. (Berlin), 5.10.2003
Friedrich August Stüler: Die Alte Nationalgalerie
1. Der Urentwurf Friedrich Wilhelms IV.
Der Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861) skizzierte, ähnlich dem Forum Romanum und den Exedren des Trajanforums, eine Gruppe von Tempelbauten. Später entwickelte er diese Idee weiter zu einer sich steigernden Pyramide klassischer Tempelfronten. Mit den Worten »Hier haben Sie mein Geschmier, jetzt bringen Sie Vernunft hinein« beauftragte er den Baumeister Friedrich August Stüler (1800-1865) damit, seine dilettantischen Skizzen umzusetzen.
Am 11. September 1840 ließ sich der König eine Eingabe zur Museumssituation seiner Hauptstadt machen. Das für die Verwirklichung seiner Idee vorgesehene Grundstück wurde durch Schinkels quer gelagerten Museumsbau vom Lustgarten abgeriegelt. Es lief zwischen Spreearm und Spreekanal nördlich spitz zu. Seitlich wurde es von den Packhöfen eingeengt.
Es folgten, neben einem Memorandum, in welchem gefordert wurde »die ganze[n] Spreeinsel hinter dem königlichen Museum zu einer stillen reich begabten Freistätte für Kunst und Wissenschaft umzuschaffen«[1], zwei Skizzen des Terrains: eine des damaligen Zustandes und eine der möglichen Anlage eines Museums.
Ursprünglich wollte der Herrscher einen »Tempelbau für die Wissenschaften«. Dieser sollte in seiner Cella die Aula und Hörsäle der Universität beherbergen. Nachdem der Bau beschlossen worden war, lagen bereits am 6. Juni 1841 die ersten »Pläne der neuen Universität« vor. Es war eine städtebauliche Konzeption des gesamten Geländes der Insel, abgebildet auf drei aquarellierten Blättern. Sie entsprach einer Folge von drei unterschiedlich geformten und ausgerichteten Höfen:
Der erste Hof war eng umbaut, beinahe quadratisch und allseitig von Säulengängen umschlossen. Diese bildeten auf einer Seite die Vorhalle eines dreigeschossigen Gebäudes. An zwei anderen Seiten waren sie zweigeschossigen Bautrakten von geringer Tiefe vorgelagert. Jene sollten Ateliers und Ausstellungsräume beherbergen. Mittig wurde der Hof durch einen korinthischen Peripteros geteilt. Da dieser auf einem zweigeschossigen Piedestal ruhte, beherrschte er die ganze Baugruppe. In ihm befanden sich ein Festsaal, die Aula und in den unteren Stockwerken Hörsäle sowie Nebenräume. Der festliche Zugang erfolgte über eine zweiarmige Freitreppe. Sie führte direkt hinter der vorderen Säulenhalle des Hofes hinauf, um sich zu einem breiten Treppenlauf zu vereinen.
Beiderseits führten als Grünanlagen angelegte Promenaden zum zweiten Hof. Dieser war quer gelagert und nach außen, zum Spreearm hin, geöffnet. Eine Säulenhalle, mit zwei, aus dem Wasser aufsteigenden Pavillons, gab den Blick auf den Fluss und das gegenüberliegende Ufer frei. Auf der anderen Schmalseite wurde ein halbrunder Sitzplatz von Baukörpern mit Flachkuppeln flankiert. Mittig befand sich eine Säule mit Statue.
Der dritte, etwas erhöhte Hof war wieder eng umbaut. Breite Stufen führten zu ihm hinauf. Ein Säulenbau um ein Brunnenbecken bildete eine durchsichtige Schranke, wodurch hier die Ausrichtung gewechselt wurde: die Achse der Promenade des ersten Hofes wurde hier mit einer leichten Abweichung fortgeführt. Den langgestreckten Gartenplatz betrat man von einer Schmalseite aus. Er befand sich zwischen zweigeschossigen Gebäuden für die Akademie und war trapezförmig in der Tiefe verengt. Hier führten groß angelegte Freitreppen auf eine hochgelegene Terrasse, welche durch ein halbrundes Bauwerk mit Säulenhalle begrenzt wurde. Sie bildete den höchsten Punkt und das Ende der Blicklinie: ein steiler Sockel mit bühnenhaft inszeniertem Reiterstandbild des Königs, war hier zugleich End- und Mittelpunkt der Anlage.
2. Die Wagenersche Stiftung und Stülers Entwurf »A«
1861 stiftete der Bankier Joachim Heinrich Wilhelm Wagener seine Privatsammlung der preußischen Krone. Seine Hoffnung war, damit eine stetig wachsende »nationale Gallerie« der »neueren« Malerei zu begründen[2], wie sie schon lange von der Öffentlichkeit gewünscht wurde. Wenige Wochen nach seinem Tod wurde die Errichtung beschlossen.
Wilhelm I. (1797-1888), Thronfolger und ab 1871 Kaiser des Deutschen Reiches, wurde von seinem Kultusminister auf die Pläne seines Vorgängers hingewiesen. Er ließ sie von Stüler ausarbeiten, der dazu am 5. November 1862 erläuterte:
Schwerlich würde man eine passendere Veranlassung und treffliche Gelegenheit zur Verwirklichung des königlichen Gedankens finden können als jetzt durch den beabsichtigten Bau der Nationalgalerie […] Wo fände man auch andererseits einen schöneren und zweckmäßigeren Platz für dieselbe, als in unmittelbarer Nähe des glänzenden Teiles unserer schönen Hauptstadt, im stets besuchten Mittelpunkte derselben und im Anschluß an die Verwaltung der vorzüglichsten und größten Kunstsammlungen des Landes? An welcher anderen Stelle und in welcher anderen Auffassungsweise als in der des Königs würde sich wohl dieses Gebäude dem Auge angenehmer und würdiger Darstellung und wie würde man besser der wunderbaren Schönheit antiker Plätze und Gebäudegruppen, welche die Schriftsteller rühmen und die gewaltigen Überreste […] ahnen lassen, sich annähern?[3]
In seiner Ausarbeitung war der Peripteros im Querschnitt gedrungener und der eingeschossige Unterbau niedriger. Im Erdgeschoss befanden sich zum Mittelgang geöffnete Räume für Skulpturen. Das Hauptgeschoss bestand aus einer langen Cella mit abschließender Apsis. Laut Stüler wäre sie der »Oberlichtsaal für Gemäldesammlungen« und »zugleich die schönste Aula für Feiern der Kunstakademie«[4]. Der Vorraum mit Treppen war von geringerer Tiefe als später ausgeführt. Das Reiterdenkmal wurde vor den Tempel versetzt.
Entlang des Spreearmufers wurde der Säulenhof durch einen zweigeschossigen Bau der Kunstakademie abgegrenzt. Diese nahm auch die Nordhälfte ein und war der umfangreichste Komplex, an den sich seitlich ein zweigeschossiger Flügel mit Räumen für die »Kunst- und Gewerbeschule« angliederte. Der dreigeschossige Vierflügelbau, gruppiert sich um einen trapezförmigen Hof. Die an der nördlichen Schmalseite gelegene Exedra mit Treppenanlage wurde geschlossen, wodurch weitere Gemälde- und Kartongalerien entstanden.
Der, die südliche Schmalseite des Akademiehofs schießende, Querbau erhielt, in den oberen Etagen, je einen Saal für kleinere Ausstellungen und im Erdgeschoss eine offene Halle als Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Hof. Die vorgezogenen Eckbauten mit Flachkuppeln korrespondierten mit dem Neuen Museum. Im mittleren Geschoss befand sich auf der Westseite eine große Vorbereitungsklasse, ein Hörsaal, ein Direktor-, Lehrer- und Vorzimmer sowie ein Sitzungssaal. Im Ostflügel fanden die Architektur- und Landschaftsklasse sowie Verwaltungsräume, Platz. In der zweiten Etage befanden sich insgesamt neun Oberlichtsäle. Mittig fügte sich hier der, von oben belichtete, Kuppelsaal ein. Man betrat ihn von einer loggienähnlichen Galerie aus.
Da die Künstlerateliers am Spreearm später entbehrlich wurden, legte Stüler einen »Verbesserte[n] 1. Entwurf« vor. Der Tempel war näher an den Spreearm gerückt und gab so, 40 Meter vom Neuen Museum entfernt, diesem mehr Licht. Er wurde abgelehnt, unter Anderem, da die Kunstakademie mehr Raum benötigte und man ihn als Galerie für ungeeignet befand.
3. Der Entwurf »B« aus dem Jahr 1863
In diesem entfiel das Hauptmotiv des zentralen Tempels. Ein freier Säulenhof vor dem Neuen Museum bildete einen rechteckigen, sich in die Tiefe erstreckenden Platz. An dessen östlicher Längsfront wurde, unmittelbar längs des Spreearms, ein zweistöckiger Bau als Gegenstück zum Museum und dessen Mittelachse aufnehmend, angeordnet. Die Kolonnaden wurden hier durch kleinere Säulenhöfe auf der Schmalseite dieses Hauses vervollständigt. Scheinbar wurden sie im Norden durch Akademiegebäude geschlossen.
Zwei Skizzen zeigen die Planung »nur als Vorschlag für die allgemeine Anordnung der inneren Räume und der äußeren Erscheinung«. Sie weisen, anhand von drei Ansichten und eines Querschnittes, eine veränderte Raumaufteilung auf. Die Grundmaße betrugen nun 63 x 40 Meter.
Das Erdgeschoss betrat man in der Mittelachse durch ein großzügig gestaltetes Vestibül. Es schlossen sich acht mittelgroße Ausstellungssäle mit einigen Nebenräumen an. Im Obergeschoss befanden sich ein zentraler Oberlichtsaal, um den sich teils seitlich, teils von oben, belichtete Räume gruppierten. Den zum Spreearm, also gen Nordosten ausgerichteten, waren Skulpturen vorbehalten.
Das Äußere wurde nur angedeutet und in kleinerem Maßstab gezeichnet. Erkennbar ist ein schlicht gequadertes Erdgeschoss, darüber gliederten paarweise gestellte Pilaster das hohe obere Stockwerk. Den Abschluss über dem Hauptgesims bildete eine mit Figuren geschmückte Balustrade, die das flach geneigte Dach und die Oberlichter verdeckte. Alle Fronten wiesen Mittelrisalite auf. Dem Blick des, aus dem Lustgarten, Kommenden fiel die südliche, dem Dom zugewandte Schmalseite auf, welche eine offene Säulenstellung und einen Giebel aufwies.
Obwohl sich die Technische Baudeputation für diesen Entwurf aussprach, fand der König die Ideen seines Vorgängers hier zu wenig berücksichtigt.
4. Der Entwurf »C« aus dem Jahr 1865
Schließlich entschied man sich für eine Kombination aus korinthischem Tempel, Kirche und Schloss oder Theater. Die optische Anbindung an das Alte Museum gelang durch lange Kolonnaden aus Schlesischem und Elbsandstein. Stüler erreichte eine möglichst große Entfernung zum Neuen Museum und die Grundfläche wurde um elf Fuß verbreitert indem am Spreearm nur noch ein schmaler Gang geplant und der Bau nordwärts gerückt wurde. Vor der Freitreppe blieb so ein ca. 40m tiefer Gartenhof. Der mittlere Hof entfiel. Detailliert berücksichtigte er die Wirkung von Licht und Schatten bei Gesimsen, Volumina, Linien, Materialien und Farben. Auf Ausführungszeichnungen finden sich nicht nur genaue Maße, sondern auch die jeweilig anzuwendende Technik. Innenarchitektonisch orientierte er sich am Raffaelsaal der Potsdamer Orangerie und dem Oberlichtsaal der Akademie.
Nun folgen im pragmatisch gegliederten Erdgeschoss auf den Kuppelsaal, der quergerichtete erste Corneliussaal, dessen Oberlicht seitliche Stichkappen tragen und auf diesen der longitudinale zweite Corneliussaal, welcher in einer Apsis endet. Beide wurden eigens für riesige Kartons mit Entwürfen zu mythologischen und religiösen Fresken von Peter von Cornelius‘ (1783-1867) konzipiert. Sie werden in zwei Geschossen von Kabinetten – unten mit Seiten-, oben mit Oberlicht – gerahmt. Im Vestibül mit Treppenhalle findet sich Otto Geyers (1843-1914) kulturhistorischer Fries, der die historische Perspektive darlegt. Von der Eingangstür aus betrachtet geht links das Treppenhaus zu den Obergeschossen ab. Gegenüber des Eingangs ist eine dreiteilige Säulenarkade. Sie wiederholt sich nach 1,3 Metern als Pilastergliederung mit zentraler flacher Nische. Seitlich davon ermöglichen Durchblicke die Erfassung der Länge des Baus. Hinter der Mittelnische setzt eine Trennwand an. Links von ihr ist eine zweischiffige vierjochige Skulpturenhalle mit Kreuzgewölben auf gekuppelten schwarzen Säulen. Hier stehen klassizistische und neobarocke marmorweiße Skulpturen. Rechtsseitig folgen aufeinander vier Bildersäle mit dem Grundriss eines gleichschenkligen Trapezes und abgeschrägten Decken.
Analog zum Äußeren eines erhöhten Tempels, entsprechen das Unter- und das Erdgeschoss der zwölf Meter hohen, rustizierten Sockelzone und das zweite und das dritte Geschoss einer Zone mit Säulen- oder Halbsäulenstellung. Zwischen diesen befinden sich markant hohe Fenster. Die oberste Etage lässt sich an der Fassade nicht ablesen. Tageslicht fällt hier durch Glasdecken ein. Die Vorderansicht des römischen Pseudoperipteros ist mit freistehenden Säulen versehen. Fassade und Außentreppe bestehen aus Nebraer-Sandstein. Die doppelläufige Freitreppe ist zugleich Denkmalsockel, Aussichtsplattform und Rahmen des ebenerdigen Eingangs. 1886 wurde hier ein bronzenes Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV. platziert. An dessen Sockel finden sich Allegorien der Religion, der Poesie, der Historie und der Philosophie.
Das Portikus schmückende Relief gibt einen Vorgeschmack auf das Programm und ist ästhetischer Ausdruck der Einheit von Kunst, Nation und Geschichte. 1876 wurde die goldene Giebelinschrift „Der Deutschen Kunst 1871“ ergänzt.
1864 wurde das Projekt genehmigt und eine Baukommission gebildet. Noch bevor Stüler am 18. März 1865 unerwartet starb, wählte er Baumeister Carl Busse als Zeichner der sehr genauen Baupläne aus. Acht der zwölf von ihm entworfenen, große Blätter sind noch heute erhalten. Sie entsprechen weitgehend dem Bau. Nach Stülers Tod übernahm Gustav Erbkam (1811-1876) die technische und Johann Heinrich Strack der Ältere (1805-1880) die künstlerische Leitung.
Entfallene Details Stülers sind eine Allegorie der Malerei und eine Skulptur im Quersaal sowie die Frieszone mit charakteristischen Kinderfiguren im Längssaal. Strack schob im Erdgeschoss je eine Querhalle in die ersten und letzten Achsen. Statt einer Mittelwand wählte er einen Quersaal und einen schmalen Mittelsaal. Er verwandt außerdem reichere, kostbarere, ornamentale und farbige Einzelformen bei der Raumausstattung, wie beispielsweise an den Säulen der Skulpturenhalle.
1867 war die Grundsteinlegung. 1872 begann nach der Vollendung des Dachstuhls, der Innenausbau. Die Eröffnung war am 22. März 1876 im Beisein des Kaisers.
Die Huldigung an Cornelius stärkt den Denkmalcharakter, den die Alte Nationalgalerie durch ihre motivische Vorgeschichte mit sich bringt. Allseitig durchgestaltet, repräsentiert sie den, in die Neurenaissance einschwenkenden, Berliner Spätklassizismus.
Literatur:
Berbig, Roland e.a.: Berlins 19. Jahrhundert: Ein Metropolen-Kompendium, Berlin 2011
Börsch-Supan, Eva/Müller-Stüler, Dietrich: Friedrich August Stüler 1800- 1865, Berlin 1997
Dorgerloh, Hartmut: Die Nationalgalerie in Berlin. Zur Geschichte des Gebäudes auf der Museumsinsel 1841-1970, Berlin 1999
Keisch, Claude (Hg.): Die Alte Nationalgalerie Berlin, London u. München 2005
Kern, Josef: Impressionismus im wilhelminischen Deutschland: Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte des Kaiserreichs, Würzburg 1989
Maaz, Bernhard (Hg.): Die Alte Nationalgalerie. Geschichte, Bau und Umbau, Berlin 2001
Rave, Paul Ortwin: Die Geschichte der Nationalgalerie Berlin. Berlin o. J. (2. Aufl. 1968)
Schuster, Peter-Klaus: die alte Nationalgalerie, Köln 2003
Singh, Stephanie: Berlin, Mississippi 2008